Die neue Heimat
15. April 2024Eine Mutter und ihre Tochter fliehen vor dem Krieg. In Luxemburg haben sie einen Ort der Geborgenheit gefunden.
Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Betroffen waren auch Viktoriia Tymtsias und ihre damals 12-jährige Tochter Karolina. Sehr schnell war Viktoriia klar: Ihr Kind muss in Sicherheit. Nach einer langen, gefährlichen Reise kamen beide am 3. März in Luxemburg an. Für einen Artikel in der ersten Nummer des Piwitsch trafen wir die beiden. Nun, rund zwei Jahre nach ihrer Flucht, haben wir erneut mit ihnen gesprochen. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wir haben uns mit Karolina und ihrer Mutter an genau demselben Ort verabredet wie vor zwei Jahren. Damals waren beide zutiefst schockiert über das Unheil, das über Nacht über ihr Heimatland hereingebrochen war. Beim Krach der ersten Bombeneinschläge wusste Viktoriia, dass sie handeln musste.
Endlich in Sicherheit
Sowohl Karolina als auch ihre Mutter Viktoriia fühlen sich in Luxemburg sehr wohl. „Karolina ist ein glückliches Mädchen“, versichert uns die Mutter im Gespräch. Sehr bald nach unserer Ankunft wurde sie in einer internationalen Klasse im Athénée in Luxemburg-Stadt eingeschult. Sie besucht dort jetzt eine 5e IC. Ihre guten Kenntnisse der englischen Sprache waren sehr hilfreich, und sie hat dadurch schnell Freunde gefunden. Ihre beste Freundin ist Viviana. Sie ist die Tochter der Gastfamilie, bei denen sie die ersten sechs Wochen ihres Aufenthalts in Luxemburg einquartiert waren. „Das Leben war gut zu uns und wir sind dankbar für jede Hilfe, die wir in Luxemburg bekommen haben“, sagt Viktoriia rückblickend, „aber ich wollte immer so schnell wie möglich wieder selbstständig werden und für meine Familie sorgen“.
Deshalb war ihr auch schnell klar, dass sie nicht dauerhaft die Gastfreundschaft von Vivianas Eltern in Anspruch nehmen wollte. Im April 2022 zogen Karolina und Viktoriia zusammen mit anderen Geflüchteten in einer Unterkunft in Capellen ein. Von da an ging alles ganz schnell! Im Juli 2022 fand Viktoriia eine zeitlich befristete Stelle bei der Agentur Luxinnovation. Heute arbeitet sie fest bei einer der vier größten Wirtschaftsprüfgesellschaften auf der Welt. Damit verdient sie ihr eigenes Geld und kann für eine Mietwohnung in Niederkerschen aufkommen.
Das neue Leben
Karolina musste vieles aus ihrem früheren Leben aufgeben. Sie musste Freunde und Verwandte zurücklassen, ihr Kinderzimmer in Kiew, ihre Medaillen … Eines jedoch wollte sie auch in Luxemburg nicht missen: ihren Lieblingssport. Karolina ist nämlich rhythmische Sportgymnastin und widmet dem Hochleistungssport den größten Teil ihrer Freizeit. Seit ihrer Ankunft trainiert sie in der „École de GRS Luxembourg“ und reiste schon zusammen mit ihrem Turnverein nach Italien, Polen, Ungarn oder den Niederlanden.
Fotos: SCRIPT
Karolina geht gern zur Schule. Sie mag das lichtdurchflutete Gebäude und die Atmosphäre im Athénée. Das sei ein Unterschied zu dem Schulgebäude in Kiew, in dem sie vorher zur Schule ging. Sie erinnert sich auch, dass in Kiew weniger Hausaufgaben zu erledigen waren und Schülerinnen und Schüler sich weniger intensiv auf Prüfungen vorbereitet haben.
Karolina setzt sich hier auch für andere ein. So gibt sie zum Beispiel einer luxemburgischen Schülerin Nachhilfeunterricht in Mathe. „Ich freue mich, dass ich jetzt auch anderen helfen kann“, vertraut sie uns gut gelaunt an.
Ob ihr Berufswunsch seit unserem ersten Treffen geändert habe? „Nein, ich will nach wie vor in einem Bereich arbeiten, in dem ich anderen Menschen helfen kann“, erklärt Karolina, „ob das jetzt Sportmedizinerin sein wird oder ein anderer Beruf, bei dem ich eng mit anderen Menschen zu tun habe, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.“
Auf die Frage, welches ihr Lieblingsgericht sei, antwor tet s ie verschmitzt: „Gromperekichelcher vom Weihnachtsmarkt!“ Karolina ist ohne Zweifel in Luxemburg angekommen. Wegziehen möchte sie nicht: „Natürlich vermisse ich meine Freunde und die Ukraine, aber Luxemburg ist jetzt meine neue Heimat. Hier möchte ich bleiben.“
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