Seit 40 Jahren keine Grenzkontrollen – oder doch?
11. Juni 2025Das Schengen-Abkommen feiert Geburtstag

Egal ob zum Spaß oder für die Arbeit – Menschen sind schon immer gerne gereist. Heute ist das in der Europäischen Union ganz einfach: Man kann von einem Land ins nächste fahren, ohne an der Grenze den Reisepass oder den Ausweis zu zeigen. Das gilt für alle – für Touristinnen und Touristen genauso wie für Menschen, die jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit in ein anderes Land fahren – sogenannte Pendler und Pendlerinnen. Aber das war nicht immer so! Erst vor etwa 40 Jahren wurde ein besonderes Abkommen in Luxemburg unterschrieben: das Schengen-Abkommen. Es hat das freie Reisen zwischen vielen europäischen Ländern erst ermöglicht.

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Schon gewusst?
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es gleich zwei Weltkriege. Auch in Europa wurde gekämpft. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gab es noch lange Streit zwischen den Ländern des Westens (um die USA) und den Ländern des Ostens (um Russland). Man nennt diese Zeit den „Kalten Krieg“ – „kalt“, weil er nicht mit Waffen ausgetragen wurde. Ab den 1980er Jahren wollten einige europäische Länder Pläne umsetzen für mehr Frieden und bessere Zusammenarbeit. Sie dachten: Wenn man von einem Land zum anderen seine Waren frei verkaufen kann, führt das zu mehr Wohlstand für alle. Aus dieser Idee entstand der europäische Binnenmarkt. Das bedeutet: Produkte wie Spielsachen, Fahrräder oder Lebensmittel können ohne extra Gebühren und Kontrollen von einem Land ins andere verschickt werden. Auch Dienstleistungen – also, wenn jemand z. B. in einem anderen Land arbeitet, sollten frei möglich sein. Sogar Geld sollte leichter zwischen den Ländern fließen. Doch eine Sache fehlte: Menschen konnten nicht einfach über die Grenze gehen oder fahren. Dort gab es strenge Kontrollen. Das wollte man ändern.

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Die vier Freiheiten des europäischen Binnenmarkts:
- Warenverkehr
- Dienstleistungsverkehr
- Geldverkehr
- Personenverkehr
Was änderte mit dem Schengen Abkommen?

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Stell dir vor, du möchtest mit deiner Familie nach Belgien auf den Wochenmarkt, nach Deutschland ins Schwimmbad oder nach Frankreich zum Wandern oder in einen Freizeitpark – und musst an der Grenze stundenlang warten. Warum? Wegen Grenzkontrollen! Früher musste jede Person, die über eine Grenze wollte, durch eine Kontrolle. An den Grenzen standen Beamte, die in jedes Auto schauten, nach den Ausweisen fragten und das ganze Gepäck kontrollieren durften. Da überlegt man zwei Mal, ob man sich für einen Ausflug in den Stau stellt! Menschen, die zum Arbeiten über eine Landesgrenze fahren mussten, waren besonders genervt. Sie konnten nie sicher sein, ob sie rechtzeitig bei der Arbeit waren. Das Schengen-Abkommen sollte das ändern. Es schaffte die Grenzkontrollen für Personen schrittweise ab. Seither kann man einfach durchfahren!
Angeberwissen:
In diesem Abkommen ging es noch um mehr: Die Zusammenarbeit der Länder bei der Suche nach Kriminellen sollte verbessert werden. Damit man besser nach verdächtigen Personen fahnden konnte, wurde ein spezielles Schengener Informationssystem (SIS) eingerichtet, mit dem alle wichtigen Daten gesammelt werden. Das europäische FBI war geboren!

Alles begann in Luxemburg!
Offene Grenzen: eine gute Idee! Das fanden jedenfalls der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Präsident François Mitterrand. Luxemburg, Belgien und die Niederlande schlossen sich an. Diese Länder nennt man auch Benelux-Staaten. Gemeinsam entschieden sie: Reisen in Europa soll einfacher werden! Die Länder waren sich schnell einig, und so wurde am 14. Juni 1985 ein Vertrag unterschrieben – das war der Beginn des Schengen-Abkommens.

Die Unterzeichnung in Schengen war kein Zufall. Robert Goebbels, damals Staatssekretär, hatte in das kleine Dorf an der Mosel eingeladen. Es liegt am Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg (als Teil der Benelux-Staaten). Somit steht der Ort für die Verbindung der Länder, die den berühmten Vertrag unterschrieben.
Übrigens: Der Vertrag wurde auf dem Schiff Princesse Marie-Astrid unterzeichnet, weil es in dem kleinen Dorf an der Mosel keinen passenden Saal gab.
Wie ging es weiter?
Der Vertrag von 1985 war nur der erste Schritt. Vieles musste noch geregelt werden. Deshalb arbeitete man schnell an einem zweiten Vertrag, der 1990 auch in Schengen unterzeichnet wurde. Internationale Verträge müssen in die Gesetzgebungen der einzelnen Länder übernommen werden. Das nennt man Ratifizierung. Die Parlamente der einzelnen Länder kommen zusammen und beraten, ob sie mit allem einverstanden sind. Das kann manchmal ganz schön lange dauern! Erst 1995 war das Schengen-Abkommen voll funktionsfähig. Schon vorher verschwanden an vielen Grenzen die Schranken, so dass man einfach durchfahren konnte. Auch in Zügen oder an Flughäfen wurde weniger kontrolliert. Aber nicht alle Grenzhäuschen wurden abgerissen. Achte mal darauf, wenn du das nächste Mal über eine Grenze fährst!
Was mit fünf Mitgliedern begann
Immer mehr Länder wollten dem Schengen Abkommen beitreten. Heute sind es 29. Dazu gehören fast alle Länder der Europäischen Union (EU), mit Ausnahme von Irland und Zypern. Als letztes sind Rumänien und Bulgarien dazugekommen, und zwar am 1. Januar 2025. Island, Lichtenstein, Norwegen und die Schweiz sind nicht Teil der EU, gehören aber zum Schengenraum.
Zum Schengenraum gehören: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. Jetzt verstehst du vielleicht das „Schengen-Schild“, das du vielleicht schon in verschiedenen Flughäfen gesehen hast.


Warum gibt es trotzdem Grenzkontrollen?
Wenn du in der Gegend der Mosel wohnst, hast du es vielleicht schon gesehen. Derzeit gibt es wieder Grenzkontrollen. Deutschland kontrolliert Menschen, die in das Land einreisen möchten. Pendlerinnen und Pendler, aber auch Menschen die regelmäßig nach Deutschland reisen, sind genervt. Kilometerlange Staus sind die eine Sache. Das Schengen Abkommen sollte aber auch Vertrauen zwischen den Ländern schaffen. Wenn du jemandem vertraust, kontrollierst du ihn nicht an der Haustür, oder? Die Kontrollen machen, dass eine schlechte Stimmung zwischen den Nachbarländern entsteht. Luxemburgische Politikerinnen und Politiker sind nicht einverstanden mit diesen Kontrollen. Sie haben sich bei ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen beschwert, bisher leider ohne Erfolg.
An der Mosel in Schengen erinnert ein Denkmal an die Unterzeichnung der Schengener Abkommen im Jahr 1985 und 1990. Das Europäische Museum Schengen wurde 2010 eingeweiht. Dort kannst du mehr über die Schengener Abkommen erfahren.

Der Geburtstag wird mit vielen Konzerten im Rahmen der „fête de la musique“ gefeiert. Es gibt aber auch freien Eintritt im Europa Museum Schengen. Neugierige können außerdem das restaurierte Schiff „Princesse Marie-Astrid“ besichtigen. Das Schiff, auf dem das Schengen- Abkommen unterzeichnet wurde, ist jetzt Teil des Museums.

Fun Fact: In Schengen wurde eine Straße nach Robert Goebbels benannt.
Robert Goebbels hat als Staatssekretär das Schengen-Abkommen im Juni 1985 für Luxemburg unterzeichnet. Er erinnert sich noch gut an diesen Tag.

Wie haben Sie diesen großen Tag damals erlebt?
Robert Goebbels: „Uns allen war damals nicht bewusst, wie wichtig und vor allem wie groß dieses Abkommen einmal werden würde! Es waren sehr wenige Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Auch die Länder waren zurückhaltend. Die Außenminister reisten nicht selbst nach Schengen, sondern schickten ihre Stellvertreter. Deshalb habe ich als Staatssekretär diesen Vertrag für Luxemburg unterzeichnet. Heute sind 29 Länder Mitglied des Schengenraums. Wir haben damals den Grundstein gelegt, aber es waren die Menschen, die immer mehr nach dieser Freiheit gerufen haben.“
Trotz Schengener Abkommen gibt es heute Grenzkontrollen. Ist das gut?
Robert Goebbels: „Nein, ich bedauere das sehr! Die Grenzkontrollen in Deutschland und Österreich bringen meiner Meinung nach überhaupt nichts! Die Verträge sehen vor, dass Länder bei großen Gefahren Kontrollen machen dürfen. Das wird zurzeit missbraucht. Politiker und Politikerinnen haben Angst vor illegaler Einwanderung und Kriminalität. Diese Probleme löst man aber nicht mit Grenzkontrollen. Für diese Kontrollen werden sehr viele Polizistinnen und Polizisten gebraucht. Das können die Länder gar nicht über längere Zeit leisten.“

Was wünschen Sie sich für den Schengenraum?
Robert Goebbels: „Die Menschen müssen sich wieder daran erinnern, dass diese Verträge uns damals eine enorme Freiheit verschafft haben. Den Kindern müssen wir erklären, dass es nicht immer so war. Und diese Freiheit muss immer wieder verteidigt werden. Mit dem Schengen-Abkommen wurden die Grenzkontrollen nach und nach abgeschafft. Die Menschen stehen also nicht mehr im Stau, wenn sie in den Urlaub fahren, und müssen nicht unangenehme Kontrollen über sich ergehen lassen. Aber leider gibt es noch immer sehr viele Grenzen in den Köpfen der Menschen. Auch diese müssen wir abbauen.“