Strom aus der Kraft des Wassers
18. August 2022Bei Vianden liegt ein riesiges Kraftwerk mitten in einem Berg. Du kannst es sogar besuchen.
Das Piwitsch-Team steht vor einem riesigen Wasserbecken auf einem Hügel bei Vianden, im Norden Luxemburgs. Hier auf dem „Niklosbierg“, wo es ganz schön windig ist, befinden wir uns auf 511 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Im Wasser stehen ein paar Türme aus Beton. Sie enthalten Abflußventile.
Es ist ein bisschen so, wie wenn du zuhause den Pfropfen aus dem Waschbecken ziehst: wenn sie geöffnet werden, stürzt das Wasser durch dicke Rohre 280 Meter nach unten, wo es dann elf gigantische Turbinen antreibt, die Strom erzeugen. Unten fließt das Wasser in einen Stausee am Fluss Our, der zwischen Vianden und Stolzemburg liegt. Aus diesem Stausee wird ein Teil des Wassers wieder in das Becken auf dem „Niklosbierg“ gepumpt und zwar dann, wenn weniger Strom von Haushalten und Betrieben gebraucht wird. Dann beginnt der Kreislauf von vorne und das rund um die Uhr.
In einem Tunnel für Besucher, der fast das ganze Jahr über geöffnet ist, kannst du sehen, wie das funktioniert und bekommst auch einen Einblick in die Technik, die man zur Stromerzeugung mit Wasserkraft braucht. Du kannst hier auch entdecken, wie dieses Pumpspeicherkraftwerk – das einzige in Luxemburg – einst entstand.
Europäische Zusammenarbeit
Dass man mit Wasser Energie erzeugen kann, ist schon ziemlich lange bekannt. Denke nur an die Mühlen an Flüssen, wo die Kraft des Wassers genutzt wurde, um aus Getreide Mehl zu mahlen. Aber dass man Strom auf die Art und Weise erzeugen kann, wie im Pumpspeicherkraftwerk in Vianden, das weiß man noch nicht genau so lange. Die Idee kam erst, als ab Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Stahlfabriken immer mehr Strom brauchten und auch mehr Haushalte an das Stromnetz angeschlossen wurden.
Damals suchte man ganz emsig nach Standorten, um Pumpspeicherkraftwerke zu bauen. Das in Vianden war übrigens nicht das erste in Luxemburg: schon 1927 ging eins in Weilerbach bei Echternach in Betrieb. Leider wurde es im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört und nicht wieder aufgebaut. Der Zweite Weltkrieg war der fürchterlichste Krieg in der Geschichte der Menschheit.
In vielen Teilen der Welt starben viele Menschen, aber es wurden auch sehr viele Häuser und Fabriken, Straßen, Stromwerke und viele andere Einrichtungen zerstört, die Menschen brauchen. „So etwas wollen wir nie wieder erleben!“, sagten die Politiker damals und bemühten sich, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern so zu verbessern, dass jeder Bürger ein angenehmes Leben in Frieden führen konnte und niemand mehr auf die Idee kam, einen Krieg zu beginnen.
Auch das Pumpspeicherkraftwerk in Vianden entstand aus einer solchen Zusammenarbeit: die Stahlfabriken im Ruhrgebiet, einem Teil Deutschlands, in dem sehr viel Stahl hergestellt wurde, benötigten viel Strom. Deshalb wurde geschaut, wo man ihn herbekommen könnte.
Extrem harter Fels
In Luxemburg war damals schon bekannt, dass das Our-Tal zwischen Vianden und Stolzemburg ein guter Standort für ein Pumpspeicherkraftwerk ist. Nicht nur, weil es genug Wasser dort gibt und den nötigen Höhenunterschied, sondern auch, weil der Fels in der Gegend extrem hart ist. Das bedeutet, dass man nicht viel bauen muss, damit die Tunnel stabil bleiben, in die man die Rohre und die Turbinen einsetzt.
Als die Arbeiten am dem Kraftwerk Ende der 1950er Jahre begannen, waren die Werkzeuge noch nicht so weit entwickelt wie heute. Man hatte keine riesigen Bohrer und auch keine starken Bagger und Lastwagen. Auch die Straßen im Tal des Flusses Our waren nicht sehr gut geeignet, um viele Tonnen schwere Geräte zu transportieren. Trotzdem schaffte man es, dass die Anlage nach nur fünf Jahren in Betrieb gehen konnte. Hunderte Arbeiter hatten die Tunnel und die Turbinenräume fast nur mit Presslufthämmern gegraben. Weitere hunderte brachten die gebrochenen Steine auf den „Niklosbierg“. Denn dort wurden sie genutzt, um das Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerks zu bauen und den Stausee am Unterbecken.
1964 fingen die neun Turbinen an, Strom zu produzieren. Auch bei den Turbinen und technischen Anlagen hatten Unternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengearbeitet. Einige Teile kamen aus Deutschland, andere aus Frankreich oder Belgien.
Der Strom fließt zuerst nach Deutschland
Bis heute wird der Strom aus Vianden in ein Stromnetz in Deutschland eingespeist. Die Firma RWE mit Sitz in Essen – im Herzen des Ruhrgebiets – betreibt es. RWE gibt auch die Kommandos, wann das Pumpspeicherkraftwerk in Vianden Strom produzieren soll oder nicht. Diese Kommandos kommen dann in der Zentrale des Werks an und ein Mitarbeiter drückt dann einen Knopf, damit die Turbinen anlaufen können.
Ein Teil des Stroms kommt übrigens aus Deutschland wieder zurück nach Luxemburg. Die beiden Länder und die Unternehmen, die das Werk gemeinsam betreiben, haben in einem Vertrag aufgeschrieben, woran sich jeder halten muss bei der Herstellung und der Einspeisung von Strom aus Vianden. Wenn alle Turbinen laufen, produzieren sie so viel Strom, wie 1.000 Häuser in einem Jahr verbrauchen würden, also eine ganze Menge.
Über die Jahre wurde die Anlage ausgebaut und zwei Turbinen kamen hinzu. Die Turbine 10 wurde 1974 gebaut. Sie steht nicht im Fels, sondern unter einer Fabrikhalle und ist nicht horizontal, sondern senkrecht gebaut. 2015 wurde die Turbine 11 in Betrieb genommen. Auch sie steht senkrecht, diesmal aber in einem extra gegrabenen Tunnel, der in den Berg gesprengt wurde.
Riesige Ersatzteile
In der Nähe der Turbinen stehen viele riesige Ersatzteile. Denn es muss schnell gehandelt werden, wenn mal etwas kaputt geht. Sonst können die Turbinen keinen Strom erzeugen.
So hat man mindestens ein Ersatzteil auf Reserve. Am Pumpspeicherkraftwerk in Vianden arbeiten heute 149 Personen für die „Société Electrique de l’Our“ – so heißt die Firma, die die Anlage betreibt. Einige von ihnen kümmern sich auch darum, Ersatzteile für die Turbinen herzustellen.
So eine Turbine kann an Ort und Stelle von der Firma zerlegt und wieder zusammengebaut werden. Das ist eine schwierige Arbeit, die man sehr genau machen muss. Und sie ist noch schwieriger, weil es in den Tunnels sehr eng und heiß ist. Sicher kannst du dir vorstellen, dass es unter diesen Bedingungen nicht sehr einfach ist, Teile, die manchmal so viel wiegen wie 300 Autos zu bewegen und einzubauen.
Das Pumpspeicherkraftwerk in Vianden ist eine technische Meisterleistung. Schau es dir an! Den Besuch kannst du dann mit einem Besuch in Vianden, das ja auch wegen seiner Burg aus dem Mittelalter bekannt ist, und einer Wander- oder Radtour im schönen Our-Tal verbinden. Viel Spaß!
Hier drunter findest du eine Fotogalerie mit Bildern aus der Bauzeit des Pumpspeicherkraftwerks. Da kannst du abschätzen, wieviel Arbeit das war. Die Fotos wurden dem Piwitsch von der „Société Electrique de l’Our“ zur Verfügung gestellt.